Mittwoch, 14. Juli 2010

Die Stadtentwicklung von Montabaur


Das Stadtarchiv von Montabaur verfügt über eine Reihe alter Stadtpläne, mit deren Hilfe sich die Stadtgeschichte in ihrer räumlichen Entwicklung nachvollziehbarer machen läßt. Jedoch gibt es bisher keine regelrecht geschriebene Stadtentwicklungsgeschichte, die uns naheführt, wie Stadtteil um Stadtteil hinzu kam oder wie die Gebietsflächen des derzeitigen Stadtraumes aufgefüllt worden sind.



Ein Behelf kann zunächst die Orientierung an den historischen Wegen in die Stadt und aus der Stadt heraus sein. Dabei ist zu beachten, daß es Nebenwege gab und Überlandstrassen, die als überregionale Handelsrouten genutzt wurden.



Von der Sauertalstraße und dem Steinweg wird gesagt, daß sie die Funktion einer sehr alten Durchgangswegung hatten. Von Limburg kommend fuhr man zur Sauertalstraße und bewegte sich dann über einen steilen Weg auf einer Rampe hinauf zum Großen Markt vor dem Rathaus. Von dort konnte man über den Steinweg aus der Stadt durch ein Stadttor nach draußen gelangen, um anschließend in Richtung Koblenz aufzubrechen.



Pfade, die durch Nebentore aus der ummauerten Stadt in die Dörfer gingen, gab es etliche. So soll es deswegen eine Stadtpforte am Hinteren Rebstock und an der Peterstorstraße gegeben haben. Einlässe gab es auch anderswo.



Ab einer gewissen Zeit verlor der Steinweg als Ausfallsstraße seine Bedeutung, weil über die Kirchstraße hinaus durch das erweiterte Peterstor eine Chaussée nach Coblenz verlief. Die Koblenzerstraße erinnert noch an diese, auch inzwischen schon sehr alte Trasse, auf der ein Postweg verlief, auf dem regelmäßiger Postverkehr mit Personenkutschen unterhalten wurde. Am derzeitigen Waldanfang in der Nähe des Spießweihers läßt sich noch ein Teilstück der historischen Chaussée auffinden.







Die Eintragungen wurden auf einem Plan vom Jahre 1927 gemacht.

Freitag, 11. Juni 2010

Das rote Rathaus in Montabaur


Der Grosse Markt vor dem Roten Rathaus in Montabaur dient bis heute als Versammlungsraum der Bürger der Stadt, wenn öffentliche Anliegen vorzutragen sind. Am Tag des Frühlinganfangs im Jahre 2011 trugen die Bewohner des Westerwaldes das Anliegen an die Öffentlichkeit, alle Atomkraftwerke in der Europäischen Gemeinschaft zu schliessen.


Als Mitte der historischen Stadt Montabaur galt über lange Zeit der Große Markt mit seinem roten Rathaus aus Backsteinen. Dadurch, daß es zu einem Rathausneubau nach dem zweiten Weltkrieg kam, der am Konrad-Adenauer Platz steht und einen Verbindungsgang in luftiger Höhe zum alten Rathaus hat, ist es strittig, was inzwischen als die Mitte der Stadt


aufzufassen ist. Als Mitte kann der inzwischen sanierte Konrad-Adenauer Platz gelten, dessen Bodenbelagsfarbe, ein blaßes Gelb, so wirkt, als haben die Gestalter auf die Leichenblässe des Altbundeskanzlers verweisen wollen. Der Volksmund spricht darüber in scherzhafter Form, die dem Altkanzler sicher gefallen würde, weilte er noch unter den Lebenden. Obwohl die neue Platzgestaltung als gelungen zu bezeichnen ist, zeigt sie doch sehr große Schwächen im Bereich des moderneren Rathausanbaues.


Das alte Rathaus aus roten Backsteinen hat eine lange Geschichte hinter sich gebracht, jedoch ist trotzdem sein neugotisches Aussehen nie so angetastet worden, daß dies nicht mehr ablesbar wurde. Umbauten bezogen sich auf das Innere und die offene Eingangsvorhalle. Man weihte es pompös ein, als das Gebiet des Herzogtums Nassau, zu dem Montabaur gehörte, an den preußischen Staat angegliedert wurde.

Es läßt sich darüber spekulieren, warum dieses Rathaus im Stil der Neugotik ausgeführt wurde. Man kann es sich einfach machen und sagen, es war der Baustil der Zeit. Bislang wurde nicht auffindbar, wer der Baumeister dieses Gebäudes war und warum er sich dazu entschloß, eine neugotische Architekturgestalt zu wählen. Sieht man sich das Gebäude, so wie es heute zu sehen ist, genau an, kommt man auf jeden Fall zu dem Schluß, daß der Bau gut proportioniert und interessant durchgestaltet wurde. Jedoch, wie kam es zur Neugotik?

In der Zeit der Romantik hatte man in England davon geschwärmt, Parkanlagen zu gestalten, die wie romantische Landschaftsgemälde wirken sollten. In solche naturnah gehaltenen Parks streute man Bauruinen, um die malerische Wirkung zu steigern. Schließlich wagte man sich daran, auch gotische Bauruinen als Versatzstücke aufzustellen, um bei Spaziergängen im Park erbauliche Erlebnisse haben zu können. Solche Parks erfand man für englische Herrenhäuser auf dem Lande, wo gerne Gäste empfangen wurden und gesellschaftliche Ereignisse genutzt wurden, um auf einer Party zusammenzukommen. Es wurde Mode, von gotischen Ruinen zu schwärmen. Solche Ideen gelangten auch in den deutschen Kulturraum und fanden Widerhall bei der Umgestaltung von Parkanlagen, die den englischen gleich kommen sollten. 


Die Altertumsforschung, die archäologische und kunsthistorische Bestandsaufnahmen von Bauruinen und überkommenen historischen Bauten leistete, erzeugte bald ein wesentlich besseres Bild von der mittelalterlichen Gotik, sodaß an alten gotischen Bauten Restaurierungen gewagt werden konnten und sogar, wie im Falle des Kölner Doms, der Weiterbau betrieben wurde, um zu beweisen, wie hochstehend die deutsche Baukunst ist und auf welche baumeisterlichen Qualitäten erneut zurückgegriffen werden kann. Man ging dieses Wagnis jedoch nur ein, weil ein grundlegender Wandel in den Auffassungen zur Gotik bei den Deutschen eingetreten war.

Seit Vasari, der zur Zeit der Renaissance in Italien kunstgeschichtlich arbeitete, abfällig über die deutsche Baukunst geschrieben hatte und das Gerücht in Umlauf gekommen war, die gotische Architektur sei eine deutsche Bauart, die "maniera tedesca, war es Mode geworden, in der wissenschaftlichen Literatur zur Baukunst abwertend über die Gotik zu schreiben. Jedoch änderte sich das im späten 18.Jahrhundert durch Johann Wolfgang von Goethe, der bei der Besichtigung des Straßburger Münsters völlig von dieser Baukunst überwältigt war und seine Begeisterung für dieses Bauwerk und die Kunst deutscher Baumeister in seiner Literatur zum Ausdruck brachte. Der eigentliche Wandel in den Auffassungen, wie man die Gotik anzusehen habe, entstand jedoch nach dem Sieg über Napoleon, der mit der Völkerschlacht bei Leipzig zur Preisgabe der durch die Franzosen besetzten Gebiete gezwungen wurde und dann abdanken mußte.

Man sah damals auf das Deutsche wieder mit Begeisterung und verehrte die gotische Architektur als reine und kraftvolle deutsche Baukunst, bis in der Mitte des 19.Jahrhunderts im deutschsprachigen Kulturraum endlich akzeptiert wurde, wo die Gotik entstanden war: in Frankreich.

Reichensperger, ein Befürworter des Weiterbaus des Kölner Doms, sah ein, als er die Zeichnungen von der gotischen Kathedrale in Amiens mit denen des Kölner Doms verglich, daß der Kölner Dom von der etwas älteren Kathedrale in Amiens abgeleitet worden war. Die deutsche Annahme, man habe im bereits vorhanden Teil des Kölner Doms, dem Chor und dem Turm, eine qualitativ hochwertige deutsche Baukunst vor sich, brach in sich zusammen, denn der Baumeister der Kathedrale in Amiens war ein Belgier. Man schuf sich einen neuen Denkrahmen und sprach daraufhin von christlich-germanischer Baukunst, da im germanischen Gebiet der Franken, genauso der Rheinländer und anderswo die Gotik entwickelt und nach und nach zur Blüte gebracht worden war.

Es gab jedoch im Norden des deutschen Kulturraumes Architekten wie Bülau, die der Auffassung waren, in der gotischen Baukunst spiegele sich demokratischer Geist. Und als in Hamburg zu Beginn des 19.Jahrhundert bei einem Stadtbrand auch das Rathaus niederbrannte, entschloß man sich zu einem Architekturwettbewerb, um die beste Idee für einen Rathausneubau zu finden. Aus dieser Hamburger Debatte wurde eine Generaldebatte im deutschen Kulturraum, wie moderne Rathäuser auszusehen hatten. Damals entschlossen sich sehr viele Städte, wie Hannover, Berlin, Wien und andere Städte zu einem Rathausneubau, da die Bevölkerung der Städte in der Zeit der Industrialisierung immer rascher wuchs und die Rathäuser größer und effizienter zu bauen waren. Auch in Montabaur im Westerwald kam es zu einer Debatte, wie ein neues Rathaus zu errichten sei.

In Montabaur entschloß man sich zu einem neugotischen Bau. Da im Mittelalter stolze Städte über ein sehr selbstbewußtes Bürgertum verfügten, das die Geschicke der Stadt selbst lenken wollte, sah man in der Gotik zugleich auch den demokratischen Grundgedanken zum Ausdruck gebracht. Die demokratischen Bestrebungen, die seit Beginn des 19.Jahrhunderts zur Verwirklichung kommen wollten, bedienten sich folglich der Neugotik, um darauf zu verweisen. Montabaur bekam deshalb sein neugotisches Rathaus aus roten Backsteinen.

Es lohnt sich, dem gotischen Baugedanken genauer nachzugehen, da sich mit ihm Fortschrittskräfte zum Ausdruck bringen wollten. Daß das Rathaus gerade rechtzeitig fertig wurde, als der Anschluß des Gebietes des Herzogtums Nassau an Preußen erfolgte, kann darauf verweisen, daß die mit der Wirtschaft vertrauten Kreise bereits wußten, daß sich Veränderungen anbahnen werden. Denn die Industriellen im Herzogtum Nassau, einem Gebiet, das Westerwald und Taunus umfaßte und die Stadt Wiesbaden zur Hauptstadt hatte, waren immerzu bestrebt gewesen, Nassau an den preußischen Staat anzugliedern. Sie versprachen sich davon bessere wirtschaftliche Bedingungen für ihre Industrieproduktion und den Warentransport. Sie hatten guten Grund dazu, denn das Gebiet an der Lahn, der Rand des Westerwaldes und des Taunus war das Vorläufergebiet des Ruhrgebietes. Hier wurde Erz abgebaut und Holz zu Holzkohle verwandelt, bis man im Westerwald auf Braunkohle gestoßen war.

Als die Dampfschiffahrt aufkam und man das Erz in das Kohlengebiet an der Ruhr bringen konnte, und außerdem modernere Verhüttungsverfahren zur Verfügung standen, verlagerte sich das Industriegebiet von der Lahn weg an die Ruhr. Aber all das konnte auch nur deshalb geschehen, weil es den Wirtschaftskräften gelungen war, die Kleinstaaterei zu beenden und neue und große offene Wirtschafts- und Handelsräume zu gestalten. Preußen war damals die staatliche Macht, der man den Wandel am ehesten zutraute. Das rote Rathaus in Montabaur war vielleicht nicht zufällig genau an dem Tag zur Einweihung gekommen, als der Anschluß des Gebietes des Herzogtums Nassau an Preußen offiziell verkündigt wurde.

Das rote Rathaus in Montabaur ist zwar aus roten Backsteinen, die Bezeichnung, die ich dem Gebäude gegeben habe, verweist indirekt auf den "red Lew", den roten Löwen, den alten Ort der Gerichtsbarkeit in der ehemals ganz ummauerten Ackerbürgerstadt.
Es ist gut möglich, daß sich in historischen Texten sehr verschiedene Bezeichnungen für das alte Rathaus finden.

Karl-Ludwig Diehl

Dienstag, 24. Februar 2009

Die Vorstadt Allmannshausen ist sehr alt



Allmannshausen ist als Vorstadt vor der ummauerten, mittelalterlichen und kleinen Stadt Montabaur entstanden. Es heißt, hier hätten Leute gewohnt, die nicht sehr einkommensstark waren, wie heute gesagt wird.


Die Struktur dieser Vorstadt war ländlich und bäuerlich. Es gab Mühlen und Wasserläufe, von denen mindestens einer ein Mühlengraben war. Man kann auf einer Karte von 1927 solche kuenstlich gelenkten Wasserläufe noch erkennen. Bauernhöfe und Scheunen prägten diese kleine Vorstadt, die sich an den Hinteren Rebstock anlehnte, sich von der Stelle vor dem Stadttor bis in die Ebene unterhalb des Schloßberges hinzog und über die Ebene an einem Weg in Richtung Staudt ausgebreitet worden war.


Als das Kurfürstentum Trier unterging und der Westerwald und Taunus zum Herzogtum Nassau zusammengelegt wurde, kam es im Jahre 1816 zur dauernden Öffnung der Stadtpforte am Hinteren Rebstock und Allmannshausen und Hinterer Rebstock wurden als ein Stadtteil von Montabaur aufgefaßt, dem ein Vorsteher des Stadtteils vorstand. Allmannshausen verlor dadurch seine ausgegrenzte Lage außerhalb der Stadtmauer. Die Bewohner werden sich an das Stadtgebiet angebunden gefühlt haben und hatten ab dann Tag und Nacht freien Zugang zum Stadtgebiet.

Zu irgendeinem Zeitpunkt wurde die historische Stadtpforte am Hinteren Rebstock abgerissen. Heute erinnern nur noch Baureste daran. Bislang wurde noch nie baugeschichtlich erarbeitet, wie sich der Stadtteil Allmannshausen in Montabaur entwickelt hat. Es gibt aber Hinweise. 

"Die Vorstadt Allmannshausen kommt im Jahre 1476 unter dem Namen Armenhussin vor", schreibt K.A.A.Meister in seiner Geschichte der Stadt und Burg Montabaur", die im Jahre 1876 herausgegeben wurde, und ergänzt:

"Hier waren zwei Cameral-Bannmühlen, welche die Stadt 1765 in Erbpacht übernahm und die unterste 1772 in eine Papiermühle verwandelte."

Auch der frühere Stadtarchivar von Montabaur, Günter Henkel, weiß zu berichten:

"Von der Oberen Pforte am Sauertal führte die Mauer entlang dem Steilhang hinter den Vorderen Rebstock bis hin zur Pforte am Hinteren Rebstock und dem Eulner Türmgen. Hier stand - außerhalb der Mauer - nach dem Ratsprotokoll vom 5.April 1698 die Werkstatt eines Eulners. Schon 1688 und 1693 war dieser Eulner dem Rat der Stadt


übel aufgefallen, weil er durch die Ablage seines Dunges die erst zwanzig Jahre zuvor reparierte Stadtmauer erneut beschädigt hatte. - Das benachbarte Tor hat bis heute seine Spur an der Stadtmauer hinterlassen. Der Dungplatz des Eulners Johannes Schreiner ist durch Gebot des Stadtrats schon im April 1698 beseitigt


worden. 'Eulner' meint den Töpfer, speziell den Krugbäcker und kommt vom lateinischen 'olla' (= der Topf). Das Stadtarchiv bewahrt einige solcher Töpfe auf. Sie stammen aus dem 13.Jahrhundert und wurden beim Abriß eines Hauses neben dem Rathaus 1962 gefunden." (1)


Es wird deutlich: Allmannshausen ist schon im Mittelalter vorhanden und hatte bald neben den beiden Mühlen eine Krugbäckerei im Stadtteil.

Derzeit ist Allmannshausen durch eine wenig sinnvolle Verkehrsplanung bedroht. Durch die historische Vorstadt soll eine viel befahrene Durchgangsstraße geführt werden, die es erforderlich macht, die Straße zu verbreitern, um den Verkehr aufnehmen zu können.

Außerdem soll ein Verkehrskreisel die beiden Teile von Allmannshausen trennen, was den weiteren Niedergang des Vorstadtgebietes bedeutet. Zwar ist schon jetzt durch die breite Alleestraße eine Trennwirkung spürbar, jedoch wird diese noch gesteigert werden, wenn ein Kreisel eingerichtet wird.


Im Jahre 2010 wurden historische Gebaeude, die durch eine Veränderungssperre dem Verfall preisgegeben waren, abgerissen, um dem Aufbau des Verkehrskreisels Vorschub zu leisten.


Die Lage des Kreisels wirkt so, als wolle man bei Aufkommen finanzieller Mittel eine Straße in einem Tunnel durch den Schloßberg führen, die an der Wallstrasse zum Vorschein kommt, um den Verkehrsfluß auf der Umfahrung des Schloßberges zu vermindern und um eine Fußgaengerzone auf der Bahnhofsstraße einrichten zu können, die vom alten Rathaus am Großen Markt bis zum neuen Bahnhof führt.

Die historischen Gebäudetypen von Allmannshausen kann man sich auf den alten Fotos erschließen. Zu Bauernhöfen gehörten Scheunen. Mit der Zeit wurden daraus reine Wohnbauten. Man könnte die verbliebene Bebauung durch einen klugen Stadtteilentwicklungsplan um solche Bauten ergänzen, die dem Charakter des historischen Allmannshausen entsprechen. Damit das sinnvoll geschehen kann, müsste jedoch der Durchgangsverkehr aus Allmannshausen herausgenommen werden. Es gab Proteste der Bewohner von Allmannshausen, die keine weitere Steigerung des Durchgangsverkehrs haben wollten.

Man hat die Proteste weitgehend übergangen, um das verkehrsplanerische Konzept politisch durchzuhalten. Ein öffentliches Bürgerbeteiligungsverfahren gab es nicht. Jedoch ist anzunehmen, daß durch Mitgliedschaft in einer Partei der eine oder andere zu Wissen gelangte, dass Bürgern ohne Parteimitgliedschaft verschwiegen wird, obwohl sich darunter viele von der Planungsmassnahme Betroffene befanden.

Karl-Ludwig Diehl









Anmerkung:
(1) zitiert aus: Günter Henkel: Mauern und Gebücke - Die Befestigungswerke der Stadt Montabaur im Spätmittelalter und in früher Neuzeit. S.105-147 in: Stadtarchiv Montabaur (HG): Beiträge aus Stadt, Verbandsgemeinde und Region. 8.Heft der Schriftenreihe zur Stadtgeschichte von Montabaur. Montabaur, 2002. S.120

Sonntag, 18. Januar 2009

Die schöne Kulturzeit der Entstehung der Jugendstilbauten in Montabaur



Die schöne Kulturzeit der Entstehung der Jugendstilbauten in Montabaur

In der kleinen Stadt Montabaur, die sich durch ihre beschauliche Lage auf einem Bergrücken auszeichnet, der am Schloßberg endet und auf halbem Wege eine Senke bildet, die geradezu dazu prädestiniert war, dort im Mittelalter den zentralen Marktplatz anzulegen, weil dort Straßen zusammenlaufen, finden sich hier und da Gebäude aus der Zeit des Jugendstils. Sie haben ihren ganz eigenen Charakter und verweisen auf eine Zeit der Kulturentwicklung im deutschen Kulturraum, die nicht von Kriegen bestimmt ist. Wie das Lebensgefühl in der Zeit des Jugendstils in Montabaur war, ist derzeit noch sehr schwierig nachvollziehbar zu machen. Bislang wurde versäumt, diese so wichtige Zeit des 19. und frühen 20.Jahrhunderts stadtgeschichtlich zu bearbeiten. Was die Baugeschichte betrifft, so gibt es zwar Bauakten der preußischen Zeit zu sehr vielen Bauten von Montabaur, aber da diese Archivalien in faustdicken Handakten eingenäht sind, ist erst eine Zerlegung dieser Bauakten vorzunehmen, bevor sie bearbeitet werden können. Zum Jugendstil liesse sich viel zusammentragen.

">>Jugendstil war nicht nur eine Stilrichtung der bildenden Kunst, sondern auch eine geistige Bewegung mit eigenem Programm, mit einer Gruppe von Pionieren, mit eigenen Zeitschriften und mit der Absicht, nicht nur die bildende Kunst, sondern das ganze moderne Leben umzugestalten." (1) Es wurden Kulturzeitschriften herausgegeben, die sehr viele Menschen erreicht haben müssen. Daß die Ideen des Jugendstils auch bis in den Westerwald vordrangen, ist an den Jugendstilbauten zu erkennen, die es nicht nur in Montabaur, sondern auch in Dörfern und anderen Kleinstädten des Westerwaldes gibt. Bislang wurden noch niemals Dokumente dazu zusammengetragen, um diese wichtige kulturelle Phase für den Westerwald aufzuzeigen. Wir wissen bislang nicht, welche Kulturzeitschriften im Westerwald gelesen wurden und wie sich das Lebensgefühl dieser Zeit in diesem Mittelgebirge mit dem Jugendstil verband.
Die Architekten, welche die Jugendstilbauten entwarfen, wurden bis heute nicht durch wissenschaftliche Abhandlungen den Bewohnern der Dörfer und Städte vorgestellt. Mit anderen Worten: beim Kulturraum des Westerwaldes haben wir es mit einer baugeschichtlichen Brache großen Ausmaßes zu tun. Was hier noch zu bearbeiten ist, sucht seinesgleichen.

Der Westerwald war 1867 an Preußen angeschlossen worden. Aus Anlaß der Kaiserproklamation hatte man in Montabaur das neugotische Rathaus mit Pomp eingeweiht. Später waren Schüler des Gymnasiums der Stadt mit ihrem Lehrer ins Lahntal gewandert, um den Kaiser während seines Aufenthaltes im überaus idyllischen Bad Ems in einer Privataudienz darum zu bitten, ihr Schulgebäude in Kaiser-Wilhelm-Gymnasium umbenennen zu dürfen, was gewährt wurde. Dieser Kaiser war kein Freund des Jugendstils, wie er im Jahre 1902 deutlich auf einer Industrieausstellung in Düsseldorf erkennen ließ. Als man ihm erlesene Jugendstilmöbel auf der Ausstellung präsentierte, erregte er sich:

">>Nein, nein, meine Herren, ich verzichte darauf seekrank zu werden.<<" (2) Den Monarchen störte die geschwungene Linie des Möbeldesigns. Hätte er sich in dem Lebensgefühl des Jugendstils gerne bewegen wollen, wären kriegerische Pläne wohl nie aufgekommen, die ihn später in den Ersten Weltkrieg trieben und ihn um seine Krone brachten.
Dem Lebensgefühl des Jugendstils widersprachen kriegerische Auseinandersetzungen. Seine Anhänger waren auf Friedenszeiten aus und wollten Harmonie der Lebensverhältnisse.
Rüdiger Safranski hat diese Zeit so charakterisiert:

"Eine ganze Kultur, es ist die wilhelminische, wird vor den Richterstuhl des Lebens (Wilhelm Dilthey) zitiert und mit der Frage konfrontiert: Lebt dieses Leben noch?" (3)

Es hatte sich auch im deutschen Kaiserreich eine Jugendbewegung gebildet, die auf Änderung aus war. Nietzsche war populär geworden. Seine radikalen Vorstellungen gewannen Anhänger. Nicht nur durch Nietzsche, so sieht es Rüdiger Safranksi, bekam das Wort 'Leben' Klang und wurde geheimnisvoll. Es sei zu einer Renaissance des romantischen Lebensgefühl gekommen und die Parole 'Leben' gegen einen seelenlosen Materialismus gerichtet worden.

Mit dem Wort 'Leben' habe man "Gestaltenfülle, Erfindungsreichtum, einen Ozean der Möglichkeiten" verbunden. Wahrhaft eine Gegenwelt entstand in der Kaiserzeit als sich Nietzsche auszuwirken begann. So wurde erlebt, was zu überwinden war:
"Zu Nietzsches Zeit wollte die bürgerliche Jugend noch alt aussehen. Damals war Jugendlichkeit eher ein Karrierenachteil. Es wurden Mittel empfohlen, die angeblich den Bartwuchs beschleunigten, und die Brille galt als Statussymbol. Man ahmte die Väter nach und trug den steifen Kragen, die Pubertierenden steckte man in Gehröcke und brachte ihnen den gemessenen Gang bei." (4)

Dann brandete der Wille zur Veränderung auf:

"Nun aber ist 'Leben' das Ungestüme und Aufbruchhafte und somit das Jugendliche selbst. 'Jugend' ist kein Makel mehr, der versteckt werden muß. Im Gegenteil: Das Alter muß sich nun rechtfertigen, es steht unter dem Verdacht, abgestorben und erstarrt zu sein." (5)

Man befand sich also sehr plötzlich in der Zeit des Jugendstils. Vermutlich hatten sich auch in Montabaur diese Gegensätze bemerkbar gemacht, und der steifen wilhelminischen, preußischen, aber kleinen provinziellen Welt der zu dieser Zeit winzigen Kleinstadt Montabaur wurde ebenfalls ein lebendiger Jugendstil entgegengesetzt. Durch die Bauten haben sich Zeugnisse von diesem Vorgang in Montabaur erhalten, der in ganz Europa mit Auswirkungen auch auf die anderen Kontinente stattfand.

Die Sehnsucht der Künstler, die diesen Stil hervorbrachten und zur hohen Kunst ausarbeiteten, bildete die seelische Grundlage, die Einheit von Kunst und Leben zu verwirklichen. Was sie ausdrückten, war das Lebensgefühl einer Zeit, in der nach Schönheit gestrebt wurde, in der man endlich eine neue Wirtschaftsethik erreichen wollte, und in der Versuche unternommen wurden, eine Ära sozialer Gerechtigkeit anbrechen zu lassen.
Wir wissen noch nicht, wie es zu dieser Zeit des Jugendstils im Westerwald zuging. Aber es dürfte auch hier eine Zeit angebrochen gewesen sein, in der man für Musik und bildende Kunst sehr aufgeschlossen war und sich auch nach einer Architektur sehnte, die in Harmonie mit einer schön arrangierten Natur vorhanden sein sollte. Es könnte eine Zeit schönster Gärten um die Häuser gewesen sein, auch eine Zeit, in der viele Alleen angepflanzt wurden. Eine solche zog sich als Lindenallee die gesamte obere Koblenzerstraße hin bis zum Waldessaum an der Abzweigung nach Horressen. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg sinnlos zerstört, nur noch ein unscheinbarer Rest davon hat sich nahe dem Spießweiher erhalten.

Der Ausdruck des Lebendigen, den der Jugendstil in diese Kleinstadt gebracht hatte, wich nach dem Zweiten Weltkrieg den Auswirkungen eines kalten Funktionalismus, in dem das Automobil neue Zusammenhänge hervorrief, welche die historische Innenstadt in weiten Teilen zerstörte und den Landschaftsraum um diese Kleinstadt völlig zersiedelte.

Ob sich Hinweise darauf finden, daß auch in Montabaur die einflußreiche Zeitschrift >Jugend<>
gelesen wurde, die im Jahre 1896 gegründet worden war und viele Leser fand, ist ungewiß. Im Gründungsmanifest dieser Zeitung heißt es, Jugend sei "Daseinsfreude, Genußfähigkeit, Hoffnung und Liebe, Glaube an den Menschen", genauso sei sie "Farbe", "Form und Licht". All das drängte zu interessantem Formengut und schöner Farbigkeit an Gebäuden und bei der Inneneinrichtung, sowie in den Gärten.

Es ist bislang noch schwierig zu wissen, auf welche Vorbilder die Architekten der Jugendstilbauten in Montabaur zurückgriffen, welche Bauten sie ganz besonders beeindruckt hatten, sodaß sie an diese Qualität herankommen wollten, als sie ihre Gebäude entwarfen. Auch fehlen noch die Namen der Architekten, welche die Bauten schufen. Es ist in einen großen Bearbeitungszeitraum zu investieren, um die baugeschichtlichen Zusammenhänge im Westerwald zu verstehen, ein Aufwand, der bislang kein Äquivalent fand.
Es gab Zentren des Jugendstils. Beeindruckt war man in Wien von einer Ausstellung Glasgower Künstler und Architekten, die eine Moderne entwickelt hatten, die alle überraschte. Das Erlebnis war ansteckend gewesen. Die gleiche Qualität eigener Arbeiten sollte in Wien erreicht werden. In Dresden hatte sich Henry van der Velde mit einer Ausstellung vorgestellt und fand Bewunderer. Genauso schnell bildeten sich in Brüssel, Paris, Darmstadt und anderswo Zentren des neuen Kunststils heraus, wo Möbeldesign, Glasdesign, neue Keramik oder Graphik entstanden und all das seinen Widerhall in der Baukunst fand. Dieser kulturelle Wandel muß den Westerwald über Tageszeitungen und Kulturzeitschriften erreicht haben. Man darf sich fragen, wie er die Menschen hier erreicht hat, und was er alles bewirkte.

Karl-Ludwig Diehl
Deutsches Gewölbemuseum
http://vub-virtuelleuniversittfrdasbauwesen.blogspot.com/






































Anmerkungen:
(1) zitiert aus: Albert Schug: Erlebnis der Gegenwart.
Baden-Baden, 1969. S.24
(2) Kaiser Wilhelm zitiert in: Albrecht Bangert, Gabriele
Fahr-Becker: Jugendstil. München, 1992. S.43
(3) zitiert aus: Rüdiger Safranski: Romantik - Eine deut-
sche Affäre. München, 2007. S.304
(4)-(5) zitiert aus: R.Safranski, wie vor, S.304