Sonntag, 18. Januar 2009

Die schöne Kulturzeit der Entstehung der Jugendstilbauten in Montabaur



Die schöne Kulturzeit der Entstehung der Jugendstilbauten in Montabaur

In der kleinen Stadt Montabaur, die sich durch ihre beschauliche Lage auf einem Bergrücken auszeichnet, der am Schloßberg endet und auf halbem Wege eine Senke bildet, die geradezu dazu prädestiniert war, dort im Mittelalter den zentralen Marktplatz anzulegen, weil dort Straßen zusammenlaufen, finden sich hier und da Gebäude aus der Zeit des Jugendstils. Sie haben ihren ganz eigenen Charakter und verweisen auf eine Zeit der Kulturentwicklung im deutschen Kulturraum, die nicht von Kriegen bestimmt ist. Wie das Lebensgefühl in der Zeit des Jugendstils in Montabaur war, ist derzeit noch sehr schwierig nachvollziehbar zu machen. Bislang wurde versäumt, diese so wichtige Zeit des 19. und frühen 20.Jahrhunderts stadtgeschichtlich zu bearbeiten. Was die Baugeschichte betrifft, so gibt es zwar Bauakten der preußischen Zeit zu sehr vielen Bauten von Montabaur, aber da diese Archivalien in faustdicken Handakten eingenäht sind, ist erst eine Zerlegung dieser Bauakten vorzunehmen, bevor sie bearbeitet werden können. Zum Jugendstil liesse sich viel zusammentragen.

">>Jugendstil war nicht nur eine Stilrichtung der bildenden Kunst, sondern auch eine geistige Bewegung mit eigenem Programm, mit einer Gruppe von Pionieren, mit eigenen Zeitschriften und mit der Absicht, nicht nur die bildende Kunst, sondern das ganze moderne Leben umzugestalten." (1) Es wurden Kulturzeitschriften herausgegeben, die sehr viele Menschen erreicht haben müssen. Daß die Ideen des Jugendstils auch bis in den Westerwald vordrangen, ist an den Jugendstilbauten zu erkennen, die es nicht nur in Montabaur, sondern auch in Dörfern und anderen Kleinstädten des Westerwaldes gibt. Bislang wurden noch niemals Dokumente dazu zusammengetragen, um diese wichtige kulturelle Phase für den Westerwald aufzuzeigen. Wir wissen bislang nicht, welche Kulturzeitschriften im Westerwald gelesen wurden und wie sich das Lebensgefühl dieser Zeit in diesem Mittelgebirge mit dem Jugendstil verband.
Die Architekten, welche die Jugendstilbauten entwarfen, wurden bis heute nicht durch wissenschaftliche Abhandlungen den Bewohnern der Dörfer und Städte vorgestellt. Mit anderen Worten: beim Kulturraum des Westerwaldes haben wir es mit einer baugeschichtlichen Brache großen Ausmaßes zu tun. Was hier noch zu bearbeiten ist, sucht seinesgleichen.

Der Westerwald war 1867 an Preußen angeschlossen worden. Aus Anlaß der Kaiserproklamation hatte man in Montabaur das neugotische Rathaus mit Pomp eingeweiht. Später waren Schüler des Gymnasiums der Stadt mit ihrem Lehrer ins Lahntal gewandert, um den Kaiser während seines Aufenthaltes im überaus idyllischen Bad Ems in einer Privataudienz darum zu bitten, ihr Schulgebäude in Kaiser-Wilhelm-Gymnasium umbenennen zu dürfen, was gewährt wurde. Dieser Kaiser war kein Freund des Jugendstils, wie er im Jahre 1902 deutlich auf einer Industrieausstellung in Düsseldorf erkennen ließ. Als man ihm erlesene Jugendstilmöbel auf der Ausstellung präsentierte, erregte er sich:

">>Nein, nein, meine Herren, ich verzichte darauf seekrank zu werden.<<" (2) Den Monarchen störte die geschwungene Linie des Möbeldesigns. Hätte er sich in dem Lebensgefühl des Jugendstils gerne bewegen wollen, wären kriegerische Pläne wohl nie aufgekommen, die ihn später in den Ersten Weltkrieg trieben und ihn um seine Krone brachten.
Dem Lebensgefühl des Jugendstils widersprachen kriegerische Auseinandersetzungen. Seine Anhänger waren auf Friedenszeiten aus und wollten Harmonie der Lebensverhältnisse.
Rüdiger Safranski hat diese Zeit so charakterisiert:

"Eine ganze Kultur, es ist die wilhelminische, wird vor den Richterstuhl des Lebens (Wilhelm Dilthey) zitiert und mit der Frage konfrontiert: Lebt dieses Leben noch?" (3)

Es hatte sich auch im deutschen Kaiserreich eine Jugendbewegung gebildet, die auf Änderung aus war. Nietzsche war populär geworden. Seine radikalen Vorstellungen gewannen Anhänger. Nicht nur durch Nietzsche, so sieht es Rüdiger Safranksi, bekam das Wort 'Leben' Klang und wurde geheimnisvoll. Es sei zu einer Renaissance des romantischen Lebensgefühl gekommen und die Parole 'Leben' gegen einen seelenlosen Materialismus gerichtet worden.

Mit dem Wort 'Leben' habe man "Gestaltenfülle, Erfindungsreichtum, einen Ozean der Möglichkeiten" verbunden. Wahrhaft eine Gegenwelt entstand in der Kaiserzeit als sich Nietzsche auszuwirken begann. So wurde erlebt, was zu überwinden war:
"Zu Nietzsches Zeit wollte die bürgerliche Jugend noch alt aussehen. Damals war Jugendlichkeit eher ein Karrierenachteil. Es wurden Mittel empfohlen, die angeblich den Bartwuchs beschleunigten, und die Brille galt als Statussymbol. Man ahmte die Väter nach und trug den steifen Kragen, die Pubertierenden steckte man in Gehröcke und brachte ihnen den gemessenen Gang bei." (4)

Dann brandete der Wille zur Veränderung auf:

"Nun aber ist 'Leben' das Ungestüme und Aufbruchhafte und somit das Jugendliche selbst. 'Jugend' ist kein Makel mehr, der versteckt werden muß. Im Gegenteil: Das Alter muß sich nun rechtfertigen, es steht unter dem Verdacht, abgestorben und erstarrt zu sein." (5)

Man befand sich also sehr plötzlich in der Zeit des Jugendstils. Vermutlich hatten sich auch in Montabaur diese Gegensätze bemerkbar gemacht, und der steifen wilhelminischen, preußischen, aber kleinen provinziellen Welt der zu dieser Zeit winzigen Kleinstadt Montabaur wurde ebenfalls ein lebendiger Jugendstil entgegengesetzt. Durch die Bauten haben sich Zeugnisse von diesem Vorgang in Montabaur erhalten, der in ganz Europa mit Auswirkungen auch auf die anderen Kontinente stattfand.

Die Sehnsucht der Künstler, die diesen Stil hervorbrachten und zur hohen Kunst ausarbeiteten, bildete die seelische Grundlage, die Einheit von Kunst und Leben zu verwirklichen. Was sie ausdrückten, war das Lebensgefühl einer Zeit, in der nach Schönheit gestrebt wurde, in der man endlich eine neue Wirtschaftsethik erreichen wollte, und in der Versuche unternommen wurden, eine Ära sozialer Gerechtigkeit anbrechen zu lassen.
Wir wissen noch nicht, wie es zu dieser Zeit des Jugendstils im Westerwald zuging. Aber es dürfte auch hier eine Zeit angebrochen gewesen sein, in der man für Musik und bildende Kunst sehr aufgeschlossen war und sich auch nach einer Architektur sehnte, die in Harmonie mit einer schön arrangierten Natur vorhanden sein sollte. Es könnte eine Zeit schönster Gärten um die Häuser gewesen sein, auch eine Zeit, in der viele Alleen angepflanzt wurden. Eine solche zog sich als Lindenallee die gesamte obere Koblenzerstraße hin bis zum Waldessaum an der Abzweigung nach Horressen. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg sinnlos zerstört, nur noch ein unscheinbarer Rest davon hat sich nahe dem Spießweiher erhalten.

Der Ausdruck des Lebendigen, den der Jugendstil in diese Kleinstadt gebracht hatte, wich nach dem Zweiten Weltkrieg den Auswirkungen eines kalten Funktionalismus, in dem das Automobil neue Zusammenhänge hervorrief, welche die historische Innenstadt in weiten Teilen zerstörte und den Landschaftsraum um diese Kleinstadt völlig zersiedelte.

Ob sich Hinweise darauf finden, daß auch in Montabaur die einflußreiche Zeitschrift >Jugend<>
gelesen wurde, die im Jahre 1896 gegründet worden war und viele Leser fand, ist ungewiß. Im Gründungsmanifest dieser Zeitung heißt es, Jugend sei "Daseinsfreude, Genußfähigkeit, Hoffnung und Liebe, Glaube an den Menschen", genauso sei sie "Farbe", "Form und Licht". All das drängte zu interessantem Formengut und schöner Farbigkeit an Gebäuden und bei der Inneneinrichtung, sowie in den Gärten.

Es ist bislang noch schwierig zu wissen, auf welche Vorbilder die Architekten der Jugendstilbauten in Montabaur zurückgriffen, welche Bauten sie ganz besonders beeindruckt hatten, sodaß sie an diese Qualität herankommen wollten, als sie ihre Gebäude entwarfen. Auch fehlen noch die Namen der Architekten, welche die Bauten schufen. Es ist in einen großen Bearbeitungszeitraum zu investieren, um die baugeschichtlichen Zusammenhänge im Westerwald zu verstehen, ein Aufwand, der bislang kein Äquivalent fand.
Es gab Zentren des Jugendstils. Beeindruckt war man in Wien von einer Ausstellung Glasgower Künstler und Architekten, die eine Moderne entwickelt hatten, die alle überraschte. Das Erlebnis war ansteckend gewesen. Die gleiche Qualität eigener Arbeiten sollte in Wien erreicht werden. In Dresden hatte sich Henry van der Velde mit einer Ausstellung vorgestellt und fand Bewunderer. Genauso schnell bildeten sich in Brüssel, Paris, Darmstadt und anderswo Zentren des neuen Kunststils heraus, wo Möbeldesign, Glasdesign, neue Keramik oder Graphik entstanden und all das seinen Widerhall in der Baukunst fand. Dieser kulturelle Wandel muß den Westerwald über Tageszeitungen und Kulturzeitschriften erreicht haben. Man darf sich fragen, wie er die Menschen hier erreicht hat, und was er alles bewirkte.

Karl-Ludwig Diehl
Deutsches Gewölbemuseum
http://vub-virtuelleuniversittfrdasbauwesen.blogspot.com/






































Anmerkungen:
(1) zitiert aus: Albert Schug: Erlebnis der Gegenwart.
Baden-Baden, 1969. S.24
(2) Kaiser Wilhelm zitiert in: Albrecht Bangert, Gabriele
Fahr-Becker: Jugendstil. München, 1992. S.43
(3) zitiert aus: Rüdiger Safranski: Romantik - Eine deut-
sche Affäre. München, 2007. S.304
(4)-(5) zitiert aus: R.Safranski, wie vor, S.304

Montag, 5. Januar 2009

An der Wallstraße stand die Synagoge

Die Wallstraße ist eigentlich ein städtebaulicher Fehlgriff. Nur um wenige Meter stadtauswärts geschoben, hätte sie es ermöglicht, den Stadtgraben mit der Stadtmauer zu erhalten. Warum das nicht gemacht wurde, kann nur damit begründet werden, daß den Entscheidungsträgern in der Stadtverwaltung und anderswo nicht daran lag, den mittelalterlichen Mauerwerksring um die Stadt in Ehren zu halten.Bislang fehlen noch die genaueren Hinweise auf die Entstehungsgeschichte dieser Straße, an der einige Stadtvillen und große Stadthäuser entstanden. Am Rande dieser Straße kam auch die Synagoge der jüdischen Bevölkerung der Stadt zum Bau. Die meisten Hinweise auf dieses Gebäude wurden vernichtet. Während des Dritten Reiches wurde das Gebäude in Brand gesteckt. Man hätte sich direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Bauwerk beschäftigen müssen, um noch zu sichern, was an Archivalien und anderen Hinweisen vorhanden war. Dies wurde jedoch unterlassen.

Heute steht auf dem Gelände, auf dem diese dreijochige Synagoge stand, ein Hallengebäude, das von einer ehemaligen Autoverkaufsfirma aufgebaut wurde, die auch Reparaturen an den Autos vornahm, wenn sie notwendig waren. Es ist denkbar, daß sich die Fundamentreste der Synagoge unter der Halle ausfindig machen lassen.

Man kann in einem Lageplan, der aufgrund eines Hausverkaufs in der Bahnhofsstraße zur Verwendung kam, den Standort dieser Synagoge genau erkennen. Sie muß deutlich über 10m breit gewesen sein und hatte eine Länge von vielleicht etwas über 17m. Man denkt bei dem Anblick des Gebäudes an eine modifizierte Neugotik, die gebaut wurde. Statt der Spitzbögen wurden Rundbögen gewählt. Die Fassadengliederung ist sehr schlicht und regelmäßig. Die Hauptfassade erhielt zur Betonung einen turmartigen Aufbau, der über das Giebeldreieck aufragt, mit einem Rundbogen abschließt, auf dem eine schmiedeeiserne Spitze gen Himmel strebt.


Um die Synagoge scheint eine ausreichend große Grünanlage angelegt gewesen zu sein. Als die Synagoge nach der Brandstiftung zur Ruine verfiel, wird man die Gebäudetrümmer vermutlich in den nahegelegenen Stadtgraben am Wolfsturm geschafft haben, um das Gelände aufzufüllen. Genaue Hinweise darauf fehlen jedoch. Es kann sich also ganz anders verhalten. Da in dieser Zeit die Backsteine noch mit Kalkmörtel vermauert wurden, hätte sich auch eine Wiederverwendung der Backsteine angeboten. Nachweise dazu fehlen bisher.

Die wenigen Fotos und der Lageplan scheinen die einzigen Zeugnisse von diesem Gebäude sein, die sich um Baureste ergänzen liessen, wenn man die Fundamente der Synagoge auffinden würde. Ich schlug deshalb vor, die Synagoge auszugraben, indem man den Hallenboden der ehemaligen Autoreparaturwerkstatt öffnet, um den Ort genauer zu identifizieren. Anschließend könnte in der Halle ein Museum zur Stadtgeschichte eingeräumt werden, oder das Stadtarchiv findet hier seinen Platz.

Die meisten Gebäude an dieser Straße gehören zur Stadterweiterung, die mit dem Auflassen der Stadttore in der Biedermeierzeit zusammenhängt. Zunächst wurde die Chaussée nach Limburg um den Schloßberg herumgeführt, dann legte man die Erschließungsstraßen im Tiergartenviertel an. Schließlich entstanden mit der Zeit die großen Stadthäuser auch an der Wallstraße. Besonders eindrucksvoll ist eine neugotische Backsteinvilla mit schönen Verblendsteinen aus Feinkeramik, sogenannten Quartiersteinen, welche den Bauten eine eindrucksvolle Fassade geben sollten.

Man wird sich mit all diesen Gebäuden genauer auseinandersetzen müssen, da sie große Kostbarkeiten darstellen und mit ihnen eine wichtige Phase der Stadtentwicklung weitergeführt wurde.

Man findet ein Bauwerk mit Mansarddach genauso wie ein solches, dem ein Turm zur Betonung des Villencharakters an einer der Kanten des Gebäudes aufgemauert wurde. Auch das damals in der historistischen Architektur aufgekommene Fachwerkgeschoß ist zu sehen. Bei anderen Gebäuden läßt sich der ursprüngliche Zustand weniger genau im Bestand ablesen. Es müßten unbedingt die Baupläne ausgewertet werden können, um zu wissen, welcher Architekt die jeweiligen Gebäude wann erbauen ließ. Eine ähnliche Qualität der Gebäude trifft man in den anderen Kleinstädten des Westerwaldes an. Es ist dringend notwendig, solche Gebäude in einen Vergleich zu stellen.

Da die Wallstraße recht kurz ist und sich nur wenige Gebäude an der Straße befinden, würde man sehr rasch einen guten Einblick in das erhalten können, was an Architektur aufgebaut wurde. Zunächst müssen jedoch die Archivalien zu den Gebäuden aufgefunden werden, um sie auswerten zu können.